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Preissenkung nach Aufnahme des dritten Nachfolgeproduktes in den Erstattungskodex


Mag. Gregor MandlzDer Autor:
Mag. Gregor Mandlz

ist Jurist in der Abteilung „Vertragspartner Medikamente“ im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger.



KURZFASSUNG


VERFASSUNGSGERICHTSHOF
§ 351c Abs 10 Z 1, § 351h Abs 3 Z 7 ASVG, § 25 Abs 2 Z 1 lit b VO-EKO (1)
VfGH 14.3.2012, B 970/09

  • Ein Widerspruch zwischen § 351c Abs 10 Z 1 ASVG und § 25 Abs 2 Z 1 lit b VO-EKO liegt nicht vor. Das Verlangen einer neuerlichen Reduktion des Preises des Originals, sobald auf diese Weise durch ein Generikum eine dritte Preisreduktion erfolgt ist, ist nicht in das freie Ermessen des Hauptverbandes gelegt. Dabei kommt es nicht darauf an, in welchen Teilbereich des Erstattungskodex (EKO) die jeweiligen Arzneispezialitäten aufgenommen sind.
  • Die Heilmittel-Evaluierungs-Kommission (HEK) ist ein beratendes Gremium des Hauptverbandes ohne Behördenfunktion. Eine Rechtswidrigkeit der Ökonomischen Beurteilungskriterien(2) kommt schon mangels Verordnungsqualität nicht in Betracht. Auch wenn eine Bindung an die Ökonomischen Beurteilungskriterien der HEK nicht vorliegt, entspricht das Vorgehen des Hauptverbandes (HVB) und der Unabhängigen Heilmittelkommission (UHK), sich an den Empfehlungen der Ökonomischen Beurteilungskriterien der HEK zu orientieren, den Vorgaben des § 351g Abs 2 ASVG.
  • Ein Verstoß gegen die geforderte Unparteilichkeit bestellter Kommissionsmitglieder einer Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag könnte nur in bes. Umständen liegen, die sich aus dienstlicher oder organisatorischer Abhängigkeit ergeben. Das Gesetz (§ 351h Abs 3 ASVG) normiert nicht ausdrücklich ein so enges organisatorisches Naheverhältnis der Vertreter zu den vorschlagenden Organisationen, dass daraus mit Grund Zweifel an der Unabhängigkeit der UHK abgeleitet werden könnten.


Sachverhalt – Verfahren vor dem Hauptverband
Der HVB entschied am 17. Dezember 2008, die von der beschwerdeführenden Partei vertriebene Arzneispezialität „Risperdal 6 mg Filmtabl.“ aus dem Gelben Bereich des EKO zu streichen. In der Begründung wird zunächst angeführt, dass aus medizinischer Sicht die Anführung des Arzneimittels als frei verschreibbar im Grünen Bereich des EKO bei gegebener Wirtschaftlichkeit zu empfehlen ist. Angeführt wurden vier Vergleichspräparate, bei denen es sich um Arzneispezialitäten mit gleichem Wirkstoff, gleicher Wirkstoffstärke und (praktisch) gleicher Darreichungsform handelt. Eines der Präparate (Risperidon „ratiopharm“ 6 mg) ist im Grünen Bereich des EKO angeführt, die Aufnahme eines weiteren Präparats (Risperidon 1A/Hexal/Sandoz 6) ist ebenfalls für den Grünen Bereich beantragt. Auch die Überführung der beiden anderen Vergleichspräparate (Risperidon Actavis 6 mg und Risperidon Interpharm 6 mg) wird vorgeschlagen. Da bereits eine wirkstoffgleiche Arzneispezialität zu Risperdal 6 mg im Grünen Bereich frei verschreibbar angeführt ist und für die Produkte Risperidon Actavis und Interpharm 6 mg ebenfalls die Überführung vorgeschlagen wird, ist es zweckmäßig, alle Arzneispezialitäten mit gleichem Wirkstoff und gleicher Wirkstoffstärke mit der gleichen Verschreibbarkeit im Grünen Bereich des Erstattungskodex anzuführen.
Die Wirtschaftlichkeit von Risperdal 6 mg war allerdings nicht gegeben: Gemäß § 25 Abs 2 Z 1 VO-EKO nach § 351g ASVG iVm § 1 Abs 1 Z 2 der Ökonomischen Beurteilungskriterien der HEK ist die Wirtschaftlichkeit des Originalproduktes bei Eintritt des dritten wirkstoffgleichen Nachfolgeproduktes gegeben, wenn der Preis mindestens auf den Preis dieses dritten Produktes gesenkt wird. Im vorliegenden Fall befindet sich dieses (Risperidon „ratiopharm“ 6 mg) im Grünen Bereich des EKO mit einem Abgabepreis von EUR 58,20. Mit der angebotenen Preissenkung von 5 % komme die beschwerdeführende Partei der geforderten Preissenkung nicht annähernd nach.

Verfahren vor der Unabhängigen Heilmittelkommission
Mit Bescheid(3) vom 30. April 2009 wies die UHK die gegen diese Entscheidung des HVB erhobene Beschwerde ab. Gegen diesen Bescheid richtet sich die gegenständliche, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, welche vom VfGH abgewiesen wurde.

Zusammenfassung und Anmerkung

  • Der VfGH interpretiert die Regelung zur Preissenkung nach Eintritt des dritten wirkstoffgleichen Nachfolgeproduktes in den EKO im § 351c Abs 10 Z 1 ASVG verfassungskonform unter dem Gesetzeszweck der Stabilisierung der Ausgabensteigerung der sozialen Krankenversicherung. Die „kann“ Textierung lässt dem HVB kein freies Ermessen, sondern verpflichtet ihn, die Wirtschaftlichkeit des Originalproduktes durch eine Aufforderung zur Preissenkung sicherzustellen. Hierdurch besteht aus seiner Sicht kein Widerspruch zur „ist“ Textierung im § 25 Abs 2 Z 1 lit b VO-EKO. In diesem Zusammenhang geht der VfGH jedoch nicht auf das Ausmaß der Preissenkung ein. Dieses dürfte somit wieder im freien Ermessen des HVB liegen, wobei der VfGH eine Orientierung an den Ökonomischen Beurteilungskriterien, in denen das nach Meinung der HEK erforderliche Ausmaß der Preissenkung beschrieben ist, als dem Gesetz entsprechend beurteilt hat. Lediglich die Schranke der Gleichbehandlung der vertriebsberechtigten Unternehmen durch den HVB wird gezogen.
  • Das Erkenntnis enthält weiters generell zu den Preisregeln bei Vorliegen eines wirkstoffgleichen Nachfolgeproduktes gemäß § 351c Abs 10 ASVG die aus dem Wortlaut des § 351c ASVG zu entnehmende Klarstellung, dass diese Preisregeln nicht auf Teilbereiche des EKO eingeschränkt, sondern bereichsübergreifend anzuwenden sind.
  • Der VfGH bestätigt die Ansicht der UHK, dass es sich bei der HEK um ein beratendes Gremium ohne Behördenqualität handelt. Diese Ansicht gibt den Gesetzeswortlaut des § 31 Abs 3 Z 12 letzter Satz ASVG wieder, demnach der HVB als beratendes Gremium die HEK einzurichten hat. In keiner Stelle des ASVG wird der HEK die Kompetenz übertragen, verbindliche Normen einseitig zu erlassen, weshalb es an der für Verwaltungsbehörden notwendigen „Befehlsgewalt“ fehlt. Dem folgend kommt den Ökonomischen Beurteilungskriterien keine Verordnungsqualität zu, wodurch eine Rechtswidrigkeit dieser nicht in Betracht kommt. Die Ökonomischen Beurteilungskriterien stellen nach Ansicht der UHK eine – um ein faires Verfahren und gleiche Beurteilung zu gewährleisten – veröffentlichte Expertenmeinung über die Vorgangsweise der HEK bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit dar. Die Rechtsprechung des VfGH, dass eine Bindungswirkung an die Ökonomischen Beurteilungskriterien weder für den HVB noch für die UHK vorliegt, wird aufrecht erhalten, wobei er diese insofern präzisiert, dass eine Orientierung an diesen den Vorgaben des § 351g Abs 2 ASVG über die Aufgaben der HEK entspricht. Dies erscheint nur konsequent, da der HVB gemäß § 351d Abs 1 ASVG seine Entscheidung auf Grundlage der – wie vom VfGH zitiert – auch eine ökonomische Bewertung umfassende Empfehlung der HEK trifft.
  • In Bezug auf die UHK verwies der VfGH auf seine Judikatur, wonach er diese bereits als Tribunal im Sinne des Art 6 EMRK qualifiziert hat. Zur Zusammensetzung der UHK und dem Vorschlagsrecht für einen Vertreter des HVB stellte der VfGH fest, dass ein Verstoß gegen die geforderte Unparteilichkeit von Mitgliedern der UHK nur in besonderen Umständen liegen könnte, die sich aus einer dienstlichen oder organisatorischen Abhängigkeit der bestellten Kommissionsmitglieder ergeben. Aus dem § 351h Abs 3 Z 7 ASVG kann der VfGH eine solche Abhängigkeit nicht entnehmen. In diesem Zusammenhang würdigt der VfGH grundsätzlich die Rolle von Interessensvertretern bei der Entscheidungsfindung, welche Aspekte aus ihrer Berufsstellung im Sinne eines Interessenausgleichs einbringen und verweist auf die von der WKÖ und Bundesarbeitskammer vorgeschlagenen Mitglieder der UHK.
  • Unter Zugrundelegung der konkreten Umstände bestehen für den VfGH keine Zweifel an der Unabhängigkeit und Unvoreingenommenheit des vom HVB konkret vorgeschlagenen Mitglieds, da dessen Aufgabenbereich vom vor dem HVB zu führenden Verfahren getrennt ist und es erst im Zuge der gemäß § 4 Abs 6 GO UHK(4) für den HVB verpflichtende Aktenvorlage Zugang zu den gegenständlichen Akten hatte.



(1) Verfahrensordnung zur Herausgabe des Erstattungskodex nach § 351g ASVG – VO-EKO, amtlich verlautbart am 17.6.2004 unter www.avsv.at Nr. 47/2004; zuletzt geändert durch die amtliche Verlautbarung Nr. 106/2008.
(2) Grundsätze der HEK, veröffentlicht unter www.sozialversicherung.at; zuletzt geändert am 22.3.2007.
(3) UHK 30.4.2009, 108/0001-UHK/09.
(4) Geschäftsordnung der Unabhängigen Heilmittelkommission (GO UHK, amtlich verlautbart am 11.10.2003 unter www.avsv.at Nr. 86/2003.

Zuletzt aktualisiert am 14. März 2022